interessieren Akram Khan
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Akram Khan

* 29 Juli 1974, London

Dass seine Mutter ihm „Happy Birthday“ wünschte, überraschte Akram Khan an seinem zehnten Geburtstag sehr. Bislang hatte sie mit ihm nur Bengali gesprochen und er war überzeugt, sie könne kein Englisch. Das Leben zwischen zwei Kulturen prägte Akram Khans Kindheit. Auf der einen Seite London, die moderne westliche Großstadt, in der er aufwuchs. Auf der anderen die bengalische Kultur seiner Vorfahren, die in Akram Khans Familie eine große Rolle spielte. Seit seinem siebten Lebensjahr wurde er in Kathak unterrichtet, einem traditionellen indischen Tanzstil, bei dem sich Bewegungen, Lieder und Erzählungen über religiöse oder weltliche Begebenheiten zu Geschichten verbinden, die auch etwas über die Geschichte des Landes erzählen.

Nach einer Ausbildung in zeitgenössischem Tanz und Engagements als Tänzer in anderen Compagnien und Produktionen begann Akram Khan selbst zu choreografieren. Von Anfang an versucht er in seinen Arbeiten die beiden Pole seiner Kindheit zu verbinden. Das Geschichtenerzählen, das im europäischen Tanz lange keine Rolle gespielt hat, integriert er in die Körpersprache des modernen westlichen Tanzes. Ebenso verwendet er Elemente aus dem Kathak, für den Schellenbänder an den Fußgelenken, Sprünge, Pirouetten und symbolische Hand- und Fingerbewegungen charakteristisch sind. Doch nicht nur in den Mitteln und Bewegungsformen ist in Akram Khans Arbeiten eine einzigartige Verbindung asiatischer und europäischer Traditionen entstanden. Auch inhaltlich finden sich immer wieder jene alten Geschichten der indischen Mythologie, die er schon als Kind kennengelernt hatte.
Zum Beispiel die des Honigtigers, der in Akram Khans Soloprojekt Desh und der darauf basierenden Kinder-Version Chotto Desh vorkommt. „Desh“ heißt auf Bengali „Heimat“ beziehungsweise „Kleine Heimat“ und ist Akram Khans bislang radikalste Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln: Ein Anruf beim Telefonservice, der in einem Callcenter in Bangladesch sitzt, versetzt den Tänzer an die Orte zurück, wo seine Großeltern lebten, und er erinnert sich an die Erzählungen aus seiner Kindheit. An den geordneten Verkehr Londons gewöhnt, stolpert er hilflos durch die überfüllten Straßen Asiens. Oder er zeigt die erschöpfende Tätigkeit der Werftarbeiter, deren rhythmische Hammerschläge er bei einer Recherchereise nach Bangladesch in sich aufgenommen hat. Akram Khan setzt seine Choreografien inmitten moderner Raum-, Geräusch- und Videoinstallationen um und entwickelt starke Bilder. So besteigt er einen an die Bühnenwand projizierten Baum oder hängt kopfüber in einem Dschungel aus weißen Papierbahnen.

Ein anderes Mal verwandelt Akram Khan sich auf der leeren Bühne, allein durch die gebeugte Haltung und ein auf den kahlen Kopf gemaltes Gesicht, in seinen Vater, der dem Sohn beständig Belehrungen erteilt und vom Kampf der Familie ums Überleben erzählt. Die Familie ist für Akram Khan im Leben wie in der Kunst eine wichtige Bezugsquelle. Dass er dabei als Künstler in jenen Geschichten, die ihn als Heranwachsenden kaum interessierten, Antworten auf aktuelle Fragen sucht, dürfte seinen Vater sehr freuen.