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Merce Cunningham

16. April 1919, Centralia - 26. Juni 2009, New York

Ein Mann im schwarzen Trikot und eine Frau im hellen, langen Kleid tanzen auf der fast leeren Bühne. Auf den ersten Blick erscheint dieses Duett in Antic Meet als typischer Pas de deux. Allein auf dem Rücken des Mannes ist ein Stuhl festgeschnallt. Er geht in die Hocke, die Frau setzt sich auf den Stuhl, steht wieder auf, beide tanzen weiter. Der Stuhl ist selbstverständlicher Teil der Choreografie, immer wieder schiebt sich das Bein der Frau über die Sitzfläche. Doch was in den Bewegungen von Merce Cunningham und seiner Tanzpartnerin so leicht und natürlich aussieht, lässt dennoch ahnen, dass sich ein an den Körper gebundener Stuhl beim Tanzen alles andere als normal anfühlt.

Genau dieser Widerspruch interessiert den 1919 in den USA geborenen Tänzer und Choreografen. Was passiert, so Merce Cunninghams grundlegende Fragestellung, wenn man die eigene Komfortzone aufgibt und unbekannte Wege geht? Cunningham verdeutlicht seinen künstlerischen Ansatz mit einem Zitat von John Cage. „Sie spielen das alles so perfekt“, hatte der Komponist einmal während einer Probe zu einem Pianisten gesagt und ihn dann aufgefordert: „Gehen Sie einen Schritt weiter, machen Sie Fehler, riskieren Sie etwas.“

Mehr als 50 Jahre sind John Cage und Merce Cunningham Lebens- und Arbeitspartner. Sie haben beide etwas in ihrer Karriere riskiert und gelten heute als große Erneuerer ihrer Kunst. Viele Compagnien haben ihre Werke inzwischen ins eigene Repertoire übernommen. Bis zu dieser Anerkennung war es für Cunningham, der als gefeierter Tänzer bei Martha Graham begann und 1953 seine eigene Compagnie, die Merce Cunningham Dance Company (MCDC), gründete, jedoch ein weiter Weg.

In den 1940er Jahren beginnen Cunningham und Cage erste gemeinsame Produktionen herauszubringen, in denen Tanz und Musik als gleichberechtigte Kunstformen unabhängig voneinander wahrgenommen werden sollen. Um dies zu erreichen einigen sich der Choreograf und der Komponist im Vorfeld auf die Länge des Stückes, proben aber getrennt voneinander. Erst bei der Premiere hören die Tänzer*innen die Musik.

Merce Cunningham ist der Überzeugung, dass Tanz für sich selbst stehen könnte, unabhängig von Musik, Handlung oder Emotionen. Stattdessen lässt er – wie übrigens auch John Cage - Zufallsverfahren choreografische Entscheidungen treffen, beispielsweise über Reihenfolge und Zeitlichkeit der Bewegungen. Auf diese Weise ergeben sich jenseits der Strukturen konventionellen Arbeitens immer neue Formen. Später, Cunningham ist da schon über 70 Jahre alt, benutzt er das Computerprogramm: „Life forms“, welches es ihm ermöglicht, Choreografien zu entwickeln, die über seine eigene Vorstellungskraft hinausgehen. Zugleich liegen sie auch jenseits dessen, was (bislang) als tanzbar galt. Wie und ob sich seine gewagten Ideen umsetzen lassen, erforschen die Tänzer*innen anschließend in den Proben. Neue Wege zu gehen, in Unbekanntes vorzudringen, Innovationen zu schaffen und beständig die Möglichkeiten der Körper und des Tanzes zu erweitern, treiben Merce Cunningham bis ins hohe Alter an. Ein eindrückliches Beispiel dafür bietet 1999 BIPED, eine Produktion des damals 80-Jährigen. Moderne Computertechnologie hat zunächst die im Studio aufgenommenen Bewegungen der Tänzer*innen in 3D-Animationen umgewandelt, welche dann in der Aufführung gemeinsam mit den realen Tänzer*innen auf der Bühne zu sehen sind.