Als Isadora Duncan am 27. Mai 1877 in San Francisco auf die Welt kommt, gibt es zwar klassisches Ballett, Gesellschafts- und Volkstänze, aber den modernen Tanz, den wird sie erst erfinden. Isadora Duncan gilt als eine der ersten und wichtigsten Künstler*innen dieser neuen Kunstrichtung, die sie selbst „freien Tanz“ nennt.
Isadora Duncan wächst in einer sich durch die Industrialisierung rasant verändernden Gesellschaft auf. Telegrafieren, Telefonieren, Autos, U-Bahnen und das Fließband verändern das Leben der Menschen, lassen es schneller werden. Als Antwort auf die zunehmende Technisierung entwickelt sich in den modernen Großstädten eine Gegenbewegung, die eine starke Sehnsucht nach einem Zurück zur Natur eint. Isadora Duncan ist Teil dieser Bewegung und sucht mit ihrem Körper nach natürlichen Ausdrucksformen. Nicht die im Ballett üblichen artifiziellen und vorgegebenen Bewegungsfolgen interessieren sie, sondern von innen heraus sollen Bewegungen entstehen, die den eigenen, seelischen Regungen Ausdruck verleihen. Stundenlang steht die junge Isadora Duncan still da und fühlt in sich hinein. Um Schmerz auszudrücken, sagt sie, ahme ein Musiker lautlich auch nicht das Weinen nach. Genauso wenig wolle sie gebeugt und klagend über die Bühne laufen.
Isadora Duncan erfindet ihren eigenen, von Gesten geprägten Ausdruckstanz. Sie fühlt sich in die Musik hinein, tritt barfuß und in lose Tuniken gehüllt auf. In einer Zeit, in der Frauen Korsett und Kleider bis zu den Knöcheln zu tragen haben, ist das ein Skandal und ihre Auffassung vom Tanz wird größtenteils belächelt. Der Aufbruch der modernen Kunst findet zu jener Zeit nicht in den USA, sondern in Europa statt. Gemeinsam mit ihrer Mutter, die als Musiklehrerin ihre Kinder unter einfachsten Bedingungen alleine großzog, und ihrer Schwester Elizabeth setzt Isadora Duncan mit erbetteltem Geld auf einem Viehtransporter 1899 über den Atlantik. Bereits 1902 feiert das Publikum in Budapest ihren Tanz zu Johann Strauss‘ An der schönen blauen Donau als Sensation. Duncan tanzt Musik. Barfuß und als pures Gefühl, 30 Tage am Stück sind die Vorstellungen ausverkauft. Duncan wird in ganz Europa und Russland gefeiert, ihre Tanzrevolution beginnt. Sie verkehrt mit den wichtigsten Künstler*innen der Zeit, schreibt Manifeste über die Tanzkunst und über Frauenrechte. 1904 gründet sie zusammen mit ihrer Schwester Elizabeth in Berlin eine Internatstanzschule. Es geht ihr nicht nur um Tanz als Kunst, sondern auch um die „Heilung zivilisatorischer Schäden“.
Doch immer wieder wird ihr Leben von tragischen Schicksalsschlägen überschattet: 1913 kommen ihre beiden Kinder bei einem Autounfall ums Leben, ein drittes Kind stirbt kurz nach der Geburt. 1927 verunglückt sie selbst, erst fünfzig Jahre alt, in Nizza, nachdem ihr langer Schal sich in den Felgen ihres Autos verfangen hatte.