interessieren Mary Wigman
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Mary Wigman

13. November 1886, Hannover - 19. September 1973, Berlin

Tanz ganz ohne Musik? Nur Trommeln, die nach und nach dazukommen? Eine Frau, die sich nicht graziös oder fließend bewegt, sondern auf dem Boden sitzt und mit Händen und Füßen schlägt und trampelt? Hexentanz heißt dieses berühmte Stück der Choreografin Mary Wigman, das mit allem bricht, womit Tanz bis dahin in Verbindung gebracht wurde. So schwer in der Bewegung und so dem Boden verhaftet wie Mary Wigman ist noch niemand aufgetreten. Mochten zuvor schon andere wie Isadora Duncan mit abstraktem Tanz experimentiert haben, ging es doch immer auch um Leichtigkeit und Anmut. Aber trotz des Fremden und Ungewöhnlichen von Mary Wigmans Inszenierungen wird der neue Tanz, den sie erfindet, schon bald als deutscher Ausdruckstanz, als „New German Dance“, weltweit bekannt.

Mary Wigman, 1886 in Hannover als Karoline Sofie Marie Wiegmann geboren, ist Teil einer Reformbewegung, die gegen die starren Konventionen und die moralische Enge der Wilhelminischen Zeit aufbegehrt. Als Reaktion auf das rasante Wachstum der Städte, auf die Industrialisierung und die „Macht der Maschinen“ entsteht ein neues Bewusstsein für die Natur, das viele Künstler*innen und Intellektuelle aufs Land treibt. Hier erproben sie neue, freiheitlich-künstlerische Ideen und entwickeln Gegenentwürfe zu den herrschenden Zuständen. Ein solches Naturidyll ist der Monte Verità im Schweizer Tessin, wohin es im Ersten Weltkrieg auch Mary Wigman zieht. Hier nimmt sie Unterricht bei Émile Jaques-Dalcroze, dem Erfinder der rhythmisch-musikalischen Erziehung, und begegnet Rudolf von Laban, dem schon damals berühmten Tanztheoretiker und Choreografen, mit dessen Bewegungsstudien sie sich zu beschäftigen beginnt.

Zurück in Deutschland gründet Mary Wigman Anfang der 20er Jahre ihre eigene Compagnie und feiert mit ihren Solostücken Die abendlichen Tänze und dem epochemachenden Hexentanz weltweit Erfolge. Meist düster, voller Pathos und mitreißender Kraft sind diese Stücke. Aber auch ihre Gruppentänze, wie zum Beispiel die von dem Gemälde Totentanz des expressionistischen Malers Ernst Ludwig Kirchner inspirierte Choreografie, finden große Beachtung. Die starke Wirkung ihrer Arbeiten resultiert aus der Individualität, die Wigman ihren Tänzer*innen zugesteht. Manche kommen direkt aus ihrer 1920 eröffneten Schule für modernen Tanz in Dresden und werden später selbst zu einflussreichen Tänzer*innen.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten mussten zahlreiche Wigman-Schüler*innen aus Deutschland fliehen - viele waren jüdisch. Sie nehmen die Elemente des New German Dance mit und tragen sie hinaus in die Welt. Mary Wigman selbst sympathisiert anfänglich mit dem Nationalsozialismus und erlebt die Aufmärsche als faszinierende Massenchoreografien. Ihre Schule kann sie trotz ihrer pro-nationalsozialistischen Einstellung nicht retten und die finanziellen Schwierigkeiten verschärfen sich, nachdem die Schüler*innen ausbleiben und Unterstützungen gestrichen werden, sie bekommt kaum noch Aufträge. 1941 muss Mary Wigman die Schule schließen, 1942 beendet sie ihre Tanzkarriere. In Deutschland bleibt sie dennoch und leidet zunehmend unter den Folgen des Krieges, wie ihre Tagebuchaufzeichnungen zeigen. Darin beschäftigt sie sich jedoch vor allem mit Alltagsfragen des Überlebens, weniger mit den Ursachen und Verursachern des Krieges.

Nach dem Krieg gründet Mary Wigman eine Schule in West-Berlin. Sie bringt weitere künstlerisch bedeutende Stücke hervor und wird geehrt. Aber den Ruhm und prägenden Einfluss wie zur großen Zeit des New German Dance wird sie nie wiedererlangen.