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Pina Bausch

27. Juli 1940, Solingen - 30. Juni 2009, Wuppertal

Pina Bausch im schlotternden Trägernachthemd, die Arme halb tastend, halb bittend nach vorn gestreckt. Wie in Trance stößt sie an Stühle, rennt gegen Wände, kreiselt in einer Drehtür wie ein Hamster im Rad und wird immer wieder in die gleiche Richtung auf die Bühne ausgespuckt. 1978 entstand Pina Bauschs Stück Café Müller. Da war sie 38 Jahre alt und schon fünf Jahre Leiterin des Wuppertaler Tanztheaters.

Harte Jahre lagen hinter ihr. Jahre, in denen die Zuschauer*innen buhten, schrien und wütend das Haus verließen. Sie waren geschockt. Nicht weil Pina Bausch sie schocken wollte, sondern weil sie etwas sahen, was sie nicht kannten. Etwas, das so neu war, so anders und tief bewegend, dass viele Zuschauer*innen es erst einmal nicht aushielten. Aber 1978 kommt die Erkenntnis bei den Menschen langsam an: Hier ist eine überragende Künstlerin am Werk! Eine, die auf ebenso erschütternde wie beglückende Weise von den Menschen mit all ihren Schwächen, Wünschen und Sehnsüchten zu erzählen versteht.

Das Neue, das Pina Bausch in den zeitgenössischen Tanz bringt, zeigt sich auch in ihrer Arbeitsweise. Sie verordnet ihren Tänzer*innen keine Tanzschritte, gibt keine Anweisungen. Stattdessen stellt sie Fragen, oft kleine, scheinbar banale, den Alltag betreffende Fragen. Pina Bausch, so sagen viele, konnte den Menschen ins Herz schauen. Als Kind half sie in der elterlichen Gastwirtschaft mit und lernte dort auf Menschen zu achten, sie zu beobachten. Nicht wie Menschen sich bewegen, hat sie in ihrer Arbeit interessiert, sondern was sie bewegt. So sucht sie bei den Antworten und Improvisationen der Tänzer*innen nicht nach dem, was ästhetisch überzeugt, sondern allein nach dem Eigenen, Wahrhaftigen, das sich oft nur kleiner Gesten bedient. Aus diesem Material entwickelt sie nach und nach ihre Stücke, in denen sich auch ihre frühkindliche Kriegserfahrung widerspiegelt, als plötzlicher Ausbruch von Panik, als Angst vor einer namenlosen Gefahr.

Pina Bausch erzählt keine geschlossenen Geschichten mit Anfang und Ende. Ihr Tanztheater besteht aus kleinen Bruchstücken, aus Assoziationen. Verschiedene Handlungen auf der Bühne finden parallel statt, andere wiederholen sich. Die Stücke folgen einer inneren Logik, die die Grenze zwischen Realität und Traum verwischt. Das macht die starke Wirkung dieser Arbeiten aus. Gleichzeitig ist das Reale präsent. Echte Steinmauern fallen um, echtes Wasser platscht über die Bühne. Die Tänzer*innen reden, sie erzählen Witze. Pina Bausch nutzt Elemente der Revue. Frauen laufen in immer neuen Variationen auf ausgestreckten Männerhänden durch die Lüfte. Tänzer*innen sprechen die Zuschauer*innen von der Bühne herunter direkt an oder steigen oft sogar selbst in den Zuschauersaal hinab. In den 70er- und 80er-Jahren verändert sich die Gesellschaft: Themen wie Gleichberechtigung und weniger autoritäre Strukturen werden wichtig. Pina Bausch zeigt in ihren Werken, dass dies kein leichter Prozess ist. Zugleich werden ihre Stücke mit den Jahren milder, leichter. Aber sie bleiben, bis zuletzt, auf unerklärliche Weise verstörend und beglückend zugleich.