interessieren Sidi Larbi Cherkaoui
2

Sidi Larbi Cherkaoui

* 10. März 1976, Antwerpen

Bis zum Himmel, so die gewaltige Idee, sollte der Turm reichen, was Gott, dessen Reich die Turmspitze berühren würde, sehr missfiel. Denn er fürchtete die Arroganz der Menschen genauso wie ihre Stärke, die sie vereint besaßen. So nahm er ihnen die gemeinsame Sprache und verstreute sie über die ganze Erde. „Der Turmbau zu Babel“ heißt diese in der Bibel erzählte Geschichte. Babel (words) nennt auch der belgisch-marokkanische Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui eine Inszenierung, die allerdings die Geschichte anders interpretiert. Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet haben das Stück gemeinsam inszeniert. Die Sprachenvielfalt, in der Gott eine Strafe sah, ist für Cherkaoui ein großer Reichtum. In der Vielfalt von Bewegungssprachen findet er Inspiration für seine Arbeit und die Möglichkeit, sein Wissen und Können zu erweitern. Ob im Austausch mit den berühmten Shaolin-Mönchen, in der Zusammenarbeit mit einer spanischen Flamenco-Tänzerin oder im Duett mit einer indischen Kuchipudi-Künstlerin – die Begegnung mit anderen Menschen und Kulturen ist für Sidi Larbi Cherkaoui ein Nehmen und Geben. Ein Prozess, in dem etwas Neues und Gemeinsames entsteht.

Dreizehn Tänzer*innen aus zwölf Nationen stehen in Babel (words) auf der Bühne. Der Turm, den sie gemeinsam bauen, besteht aus fünf unterschiedlich großen, hohlen Metallquadern. Die Tänzer*innen kippen und verschieben die Objekte, bewegen sich in ihnen, auf ihnen, um sie herum und stellen sie zu immer neuen Formen zusammen. Nicht Gott und sein Zorn interessieren Sidi Larbi Cherkaoui, sondern die Grenzen menschlichen Denkens und Handelns sowie die Möglichkeiten respektvollen Zusammenlebens. Wo eine gemeinsame Sprache fehlt, verständigen sich Menschen zumeist mit ihren Händen. Sprechende Gesten finden sich auch in den traditionellen Tänzen vieler Kulturen. Die Hand ist ein magisches Werkzeug, sagt Sidi Larbi Cherkaoui und setzt an den Beginn von Babel (words) einen Monolog über die Geste als ältestes Ausdrucksmittel der Menschheit.

Eine Völker und Kulturen verbindende Sprache zu finden, war in Sidi Larbi Cherkaouis Leben von Anfang an Thema. Der marokkanische Vater und die flämische Mutter redeten Französisch miteinander. Eine Sprache, in der beide nicht zu Hause waren. Früh verspürte er den Wunsch zu tanzen, aber eine fundierte Tanzausbildung erhielt er nicht, weil sein Vater dagegen war. Stattdessen besuchte Sidi Larbi Cherkaoui Kurse zu verschiedensten Tanzstilen und -richtungen. Obwohl ihm sein Talent bereits mit 17 Jahren erste Auftritte bei belgischen Musiksendungen einbrachte, waren die Lehrer mit seinem Ausdruck nie zufrieden. Ob Ballett, Stepptanz oder afrikanischer Tanz – immer sah es bei ihm anders, irgendwie nicht „richtig“ aus.

Schließlich sieht Sidi Larbi Cherkaoui Filme von Bruce Lee und erkennt plötzlich das Besondere seiner eigenen Fähigkeiten. Wie der berühmte Martial-Arts-Kämpfer benutzt er fortan charakteristisches Material aus unterschiedlichen Tanz-Traditionen, um etwas Neues, Eigenes zu schaffen. Dabei bedient sich Sidi Larbi Cherkaoui nicht nur der verschiedenen Tanzstile, sondern auch der Ausdrucksmöglichkeiten anderer Künste. So stehen Sprache und Gesang in seinen Stücken oftmals gleichwertig neben dem Tanz. Und mit derselben Disziplin, wie er seinen Körper trainiert, arbeitet er an seinem zeichnerischen Vermögen oder lässt sich im Singen unterrichten. Egal jedoch, was er tue, so Sidi Larbi Cherkaoui in einem Interview, stehe er immer als Tänzer auf der Bühne. Nicht als Flamenco-Tänzer, Sänger oder Kung-Fu-Kämpfer, sondern als Tänzer, der Flamenco tanzt, singt oder Kung-Fu macht. Und genau das macht das Besondere an Cherkaouis Arbeiten aus.