Wie Nebel, wie feiner Rauch, scheinbar den Gesetzen der Schwerkraft und ihres eigenen Körpers enthoben, wirbelt die Tänzerin durch die Lüfte. Dieses Bild, das Trisha Brown für den Chor der Geister in Monteverdis Oper L’Orfeo findet, basiert auf Elementen ihrer frühen Arbeiten, in denen die amerikanische Choreografin erforscht hatte, wie sich alltägliche und einfache Bewegungen in neuen Zusammenhängen verändern. Sie ließ Tänzer*innen an Häusern herablaufen, Wände entlanggehen oder sich – wie bei L’Orfeo wieder aufgegriffen – von anderen getragen durch den Raum bewegen.
Überhaupt prägte das Experimentieren mit Schwerkraft den Stil von Trisha Browns Choreografien. Ein weiteres Beispiel hierfür ist Set and Reset, ein Stück von 1983, mit dem ihr der internationale Durchbruch gelang. Klare geometrische Raumstrukturen verbinden sich hier mit einer für Trisha Brown typisch fließenden Bewegungsqualität. Dabei erinnert das unablässige Strömen von Energie an Wellen oder an ein Perpetuum mobile.
Statt auf Handlung, Dramaturgie oder Musik beruhten diese frühen, eher abstrakten Arbeiten häufig auf Improvisationen, für die Trisha Brown „Spielregeln“ festlegte. Accumulation beginnt nur mit einer kleinen Geste, die zunächst wiederholt und dann durch andere Bewegungen ergänzt wird. Nach und nach entwickelt sich daraus eine komplexe Choreografie. In anderen Produktionen arbeitete Trisha Brown mit wenigen Bewegungsfolgen, die sie von mehreren Tänzer*innen in Raum und Zeit versetzt aufführen ließ.
Oftmals fanden die Aufführungen auch an ungewöhnlichen Orten wie in Parks, ehemaligen Fabriketagen oder sogar auf Dächern statt, so dass die Zuschauer ihren eigenen Stand- und Blickpunkt finden mussten. Roof and Fire Piece zum Beispiel war eine Art Stille-Post-Spiel, bei dem auf verschiedenen Dächern verteilte Tänzer*innen die Bewegungen eines anderen aufnahmen, wiederholten und an den nächsten weitergaben.
Wie Trisha Brown versuchten im New York der 70er Jahre verschiedene Künstler*innen, die Grenzen von modernem Tanz, Installation und Performance zu erweitern. Einige von ihnen hatten wie Trisha Brown eine eigene Compagnie. Viele waren dem Judson Dance Theater, einem losen Zusammenschluss von Künstler*innen, verbunden. In wechselnden Zusammensetzungen arbeitete man miteinander, tanzte zu den Choreografien anderer, entwickelte eigene Arbeiten und war offen für Einflüsse aus anderen Künsten wie der Musik und der bildenden Kunst. Der ursprünglich von der Malerei und Fotografie kommende Robert Rauschenberg entwickelte ebenfalls eigene Choreografien und wurde für Trisha Brown zu einem der wichtigsten und kontinuierlichsten künstlerischen Partner. Bühnenbilder setzte er oft wie Darsteller ein, die sich tatsächlich bewegten oder Bewegungen suggerierten. Diese vereinte Kreativität erweiterte das Tanz- und Kunstverständnis der Macher genauso wie des Publikums.
Wie nachhaltig dies geschah, wurde auch in Trisha Browns eigener Karriere deutlich: 2007 zeigte sie auf der Documenta in Kassel eigene grafische Werke, Video-Arbeiten sowie eine Variante von Accumulation und Floor of the Forest. Bei Floor of the Forest, einem Stück von 1970, hangelten sich Tänzerinnen über ein Gitternetz aus Seilen und versuchten in darin hängende Kleidungsstücke einzusteigen. Auch an den großen Theatern, für die Trisha Brown neben Produktionen für ihre eigene Compagnie arbeitete, erweiterte sie beständig die Wahrnehmung der Zuschauer*innen und Künstler*innen. Durch die Bewegungs- und Tanzproben mit Trisha Brown, so die Hauptdarstellerin von L’Orfeo, habe sie Dinge erfahren und verstanden, nach denen sie in den zehn Jahren ihrer Sängerkarriere vergeblich gesucht hätte.