interessieren William Forsythe
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William Forsythe

30. Dezemberg 1949, New York

Im ersten Teil von Endless House, ein Stück aus dem Jahr 1999, sitzen die Zuschauer*innen in einem Rang des Frankfurter Opernhauses. Auf der gut einsehbaren Bühne befinden sich zwei Tänzer, deren Oberköper sich einander langsam nähern, bis sie sich berühren und ein Dreieck bilden. Der zweite Teil des Abends findet in einem alten Straßenbahndepot statt. Stellwände unterteilen die große Halle. Die Tänzer*innen tanzen an verschiedenen Stellen der Halle oder bereiten sich auf ihren Einsatz vor. Um am ganzen Geschehen teilzunehmen, müssen sich die Zuschauer*innen durch die Halle bewegen, so sieht jede*r – je nach Position und Ausschnitt – ein anderes Stück.

William Forsythes Arbeiten fordern das Publikum heraus. Die Zuschauer*innen bekommen kein fertiges Produkt vorgesetzt, sondern sind aufgefordert, sich mit dem Geschehen auf der Bühne aktiv auseinanderzusetzen. In Forsythes zweitem Werk wird dies bereits im Titel deutlich: Gänge. Ein Stück über Ballett führt das weltberühmte Ballett Schwanensee nicht auf. Stattdessen stoßen aus der Schwanensee-Choreografie stammende Bewegungen

zusammen mit gesprochenen Texten eine Diskussion über Traditionen im Ballett an. Dabei geht es sowohl um die Figuren im Stück als auch um die Zusammenarbeit im Ensemble, das Training, die Proben, körperliche Herausforderungen, persönliche Sichtweisen und vieles mehr.

Doch Forsythe fordert nicht nur die Zuschauer*innen heraus. Auch den Tänzer*innen und Tanzexpert*innen verlangt er ein Nachdenken über die jahrhunderte alte Tanzgeschichte ab. Forsythes Bewegungsfolgen und Choreografien kommen aus der Auseinandersetzung mit dem klassischen Ballett und zeigen eine virtuose Körper- und Bühnensprache, die viele zeitgenössische Choreograf*innen maßgebend beeinflusst hat. Diese spannungsreiche Verbindung von Tradition und Moderne braucht Tänzer*innen, die das klassische Bewegungsrepertoire beherrschen und zugleich fähig sind, es durch ihre (künstlerische) Persönlichkeit und Kreativität zu verändern und zu erneuern.

Um diese Kreativität systematisch zu fördern und auch um seine Arbeitsweise einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, entwickelte Forsythe in Zusammenarbeit mit dem Karlsruher ZKM (Zentrum für Kunst und Medien) in den 90er Jahren seine „Improvisation Technologies“, eine interaktive digitale Tanzschule als CD-ROM. Die Erforschung dessen, was Tanz ist und wie er gesehen oder beschrieben werden kann, hat Forsythe auch in seiner Initiative „Motion Bank“, eine digitale Tanzbibliothek, vorangetrieben. Dazu stellte er ein Team aus Tanzschaffenden, Künstler*innen und Computerexpert*innen zusammen, die diese im Internet zugängliche Datenbank erstellten. In der „Motion Bank“ kann man sich viele Beispiele zeitgenössischer Choreografien als Video, 3D-Animationen oder künstlerische Übertragungen ansehen, außerdem Beschreibungen, Anmerkungen und Interviews lesen und so versuchen, sich den zugrunde liegenden Ideen der Stücke anzunähern.

Jenseits der Bühne finden Forsythes choreografische Installationen auch in Museen oder bei Kunstmessen statt. In diesen Räumen können die Betrachtenden zu Agierenden werden. So eroberten die Besucher*innen in White Bouncy Castle eine fast 40 Meter lange Hüpfburg oder bewegten sich in Nowhere and everywhere at the same time durch einen mit schwingenden Pendeln gefüllten Raum, möglichst ohne sie zu berühren. Die Diskussion über Körper, Bewegung, Tanz und mehr oder weniger zufällige Choreografien, die Forsythe anregen will, entsteht bei diesen Arbeiten ganz selbstverständlich. Das eigene Erleben spielt dabei eine besondere Rolle und kann die Zuschauer*innen ­– wie bei der Biennale 2009 in Venedig – auch an ihre körperlichen Grenzen bringen: 200 an unterschiedlich langen Gurten befestige Ringe bildeten einen von außen einfach erscheinenden Parcours. Wer sich in The Fact of Matter – so der Name dieser Installation – wagte, spürte jedoch schnell, wie viel Kraft, Koordination und Körperbeherrschung das bloße Durchqueren des Raumes erforderte.

Forsythe arbeitet derzeit an einem Notationssystem für den Tanz, mit dem man Choreografien wie in einer musikalischen Partitur festhalten und wieder lesen kann. Diese sollen ebenfalls in der „Motion Bank“ zugänglich sein.