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Alain Platel

* 9. April 1956, Gent

Tische, Sessel, Sofas, Schränke, eine Waschmaschine, eine Schaukel... in den Stücken des belgischen Choreografen Alain Platel ist die Bühne meist voller, als man es von anderen Tanzaufführungen kennt. Zeigt das Bühnenbild von Moeder en kind nur das Innere einer Wohnung, besteht es bei Allemaal indiaan gleich aus mehreren Häusern, vor, auf und in denen sich das Geschehen abspielt. Alain Platel erzählt von Menschen unserer Zeit, die ein einfaches Leben führen und sich mit den Problemen des Zusammenlebens herumschlagen. Die Figuren schreien und flüstern, tanzen und singen, lieben und streiten, wollen weit weg oder einfach wieder zurück. Oft wissen die Zuschauer*innen gar nicht, wohin sie schauen sollen, denn die vielen Geschichten werden von zahlreichen Akteur*innen parallel erzählt. Alain Platels Inszenierungen sind turbulente Kompositionen aus Theater, Tanz und Musik. Buntgemischt sind auch seine Ensembles, sie bestehen aus Profis und Laiendarsteller*innen, Erwachsenen und Kindern, ja sogar Tieren; und auch Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen und Krankheiten spielen in seinen Stücken mit. In Wolf tanzen zum Beispiel Gehörlose und bewegen ihre Hände in Gebärdensprache zur Musik.

Warum Alain Platel so anders arbeitet, erklären die Ursprünge seiner Karriere. Prägend ist seine Zeit als Heilpädagoge in einem Heim für schwerbehinderte Kinder, wo seine Arbeit darin besteht, Kontakt zu diesen Kindern zu bekommen, sich in sie einzufühlen. Eines Tages schlägt ein alter Lehrer ihm vor, eine Ballettaufführung des Choreografen Maurice Béjart anzusehen. Alain Platel findet das Ballett schrecklich und diskutiert hitzig mit seinem Lehrer. „Mach es besser“, sagt der. Und Alain Platel nimmt die Herausforderung an. Gemeinsam mit seiner Schwester und Freunden entwickelt er in seiner Freizeit im WG-Wohnzimmer ein erstes kleines Stück, das auch prompt zu einem Festival eingeladen wird. Alain Platel fängt Feuer, arbeitet weiter. 1984, mit 28 Jahren, gründet er eine eigene Gruppe, Les Ballets C de la B. Mit Bonjour Madame gelingt ihm 1993 der internationale Durchbruch.

Klassische Musik spielt bei Alain Platel, anders als bei vielen anderen zeitgenössischen Choreograf*innen, eine große Rolle. Purcell, Bach, Mozart, Mahler – die Schönheit der Musik, die er schon als Kind entdeckte, setzt Alain Platel auf ungewöhnliche Weise in Szene. Für La Tristeza Complice lässt er Henry Purcells Musik nicht von einem Orchester, sondern auf dem Akkordeon spielen. Auf diesem Volksmusikinstrument bekommt die Musik der „Hochkultur“ einen ganz neuen, ungewohnten Klang. In Iets op Bach agieren Tänzer, Kinder, Artisten und Zirkusleute zur Musik Johann Sebastian Bachs, im Requiem pour L. spielen afrikanische Musiker Totenmusik im Wechsel mit Mozarts Totenmesse und tanzen dazu. Auf einer Leinwand im Hintergrund ist das Sterben einer Frau zu sehen.

Alain Platel erzählt in seinen Stücken von der wirklichen Welt. Einer Welt voller Schönheit und Schmerz. Mit Menschen aus verschiedenen Kulturen, mit unterschiedlichen Begabungen oder Einschränkungen – alle sind gleichwertig, alle haben ihren Platz in dieser Welt. Einer Welt, die auf Alain Platels Bühne so bunt ist wie im Leben und in welcher die Menschen die Kunst unbedingt brauchen.